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73. Nennen Sie den Ursprung der halbstabilen Luftspiegelung Anagrom Ataf!

Zamonische Geschichte / Mai 2002 /

Gemäß der Nachtigallerschen Septantentheorie hat jeder manifeste Körper (mindestens) sieben (bekannte) Ausdehnungen: Breite, Höhe, Tiefe, Dauer, Möglichkeit, Dimension und Hrqlixblf. Die letzteren drei Dimensionen (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Dimension "Dimension", die sich verwirrenderweise die Genrebezeichnung als Namen zueigen gemacht hat) sind für die folgende Betrachtung unerheblich, wobei, das sollte vielleicht noch gesagt werden, es sich bei der Hrqlixblf um eine Art "Reservedimension" handelt, der bei wissenschaftlichen Betrachtungen, Theorien und Hypothesen grundsätzlich alle Unstimmigkeiten untergeschoben werden. Sie erklärt zwar nicht, warum es ausgerechnet sieben Dimensionen geben sollte (dafür bräuchte man dann noch eine achte), aber zum Beispiel die Existenz des Universums und sämtliche Unstimmigkeiten, die sich eventuell aus dem folgenden Text ergeben könnten - also halten Sie besser gleich die Klappe.

Es geht also um Spiegelbilder, Abbildungen, und zwar speziell um solche, die unabhängig vom Original von Dauer sind, also nicht verschwinden, wenn letzteres verschwindet. Der Preis für diese Fähigkeit, die speziell halbstabilen Luftspiegelungen, wie sie in der Süßen Wüste gelegentlich vorkommen, zueigen ist, ist der Verlust der zeitlichen Dimension, also der Dauer. Das heißt, ein bisschen Dauer bleibt da; die Fata Morgana ist ja dauerhaft vorhanden, doch es gibt keine Veränderung mehr. Alles bleibt so, wie es im Moment der Entstehung des Spiegelbildes war, und wiederholt sich bis in alle Ewigkeit. Handelt es sich beim Objekt der Spiegelung etwa um eine Stadt, wie es sehr häufig der Fall ist, gilt das Gleiche für die Stadtbewohner. Um jedoch ihrer freien Handlungsfähigkeit nicht ganz beraubt zu werden (z.B. muss man sich ja bei Invasionen der Stadt verstecken oder mit Fremden sprechen können), machen diese Leute Abstriche bei den ersten drei Dimensionen, wodurch sie zu transparenten Schatten ihrer selbst werden - luftig, gespinstig, durchsichtig - Fatome eben. Trotz dieses hohen Preises bleiben sie dazu verdammt, ewig die gleiche Handlung zu wiederholen, etwa immer wieder Kartoffelbrei zu essen, Nägel einzuschlagen oder sich von einem Minarett zu stürzen, denn würden sie sich aus diesem Gefüge lösen, würden sie nicht nur mit ihrer Umwelt aus dem Einklang geraten (etwa mit dem Herd, der immer wieder den Kartoffelbrei kochen will, dem Hammer, der immer wieder den Nagel ins Holz treibt, oder der Menschentraube, die sich immer wieder vor dem Minarett versammelt), sondern sie würden auch ihre materielle Existenz verlieren und sich ganz in Luft auflösen.

Wie solche bemitleidenswerten Luftspiegelungen in der Regel entstehen, ist aus Prof. Dr. Abdul Nachtigallers Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder, Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und Umgebung bekannt. Was die teilkonkrete Luftspiegelung Anagrom Ataf betrifft, kursiert jedoch eine andere Entstehungsgeschichte, die auf "Möhrchen aus 1001 Nacht" zurückgeht - eigentlich eine Sammlung orientalischer Häschenwitze, in der die Stadt nur beiläufig erwähnt wird. Führende Größen auf dem Gebiet der Spatiokultologie haben die Geschichte jedoch aus der Handschrift des Kopisten und der Zusammensetzung der Tinte herausanalysiert. Daher wissen wir, dass Anagrom Ataf das Werk des Kalifen Abd Allah al-Mon'deo ist, der auf seine alten Tage nach neuen geistigen Herausforderungen strob und sich nach der Lektüre einiger Schriften des Philosophen Perplezius in den Kopf gesetzt hatte, "das Fremde im Vertrauten zu entdecken" und hierfür keine geeignetere Möglichkeit sah, als seine Oasenstadt, die damals noch Gamon Arafat hieß, bis ins Detail originalgetreu, aber spiegelverkehrt wieder aufzubauen.

Da dies wenig praktikabel war, verfielen seine Gelehrten auf den Plan, den Kalifen mit einer künstlich erzeugten halbstabilen Fata Morgana abzuspeisen. Sie zogen vor die Stadttore, führten auf der sonnenzugewandten Seite der Stadt mit Hilfe komplizierter Lupenkonstruktionen eine künstliche Zuckerschmelze herbei, warteten, bis die Luft in ausreichendem Maße mit Zuckerdampf angereichert war und hießen dann die riesige Sklavenarmee, die sie extra mitgebracht hatten, mit ihren Palmwedeln zu fächeln, als ginge es um ihr Leben. Und das ging es ja schließlich auch; mit Sklaven war Gamon Arafat reich gesegnet, das hieß: einmal aus Versehen eine Karaffe fallen lassen, zack, Kopf ab, nächster Sklave. Entsprechend gut waren sie ihre Sache gewohnt zu machen. Die kühle Luft der Palmwedel ließ den Zuckerdampf kristallisieren und das Bild der Stadt in der Luft erstarren - bezuxfertig.

Der Kalif war entzückt, sein Volk jedoch hatte andere Alltagssorgen als die Erlangung geistiger Reife nach der Perplezius-Methode, außerdem war bekannt, dass das Leben in teilkonkreten Luftspiegelungen nicht gerade der Inbegriff von Wohnkomfort ist, und so blieben sie zunächst einfach im Original wohnen, als wäre nichts geschehen. Abd Allah al-Mon'deo erboste sich garstig, ließ Gamon Arafat zwangsevakuieren und zu Streichhölzern verarbeiten (auf denen er jedoch Zeit seines Lebens sitzen blieb, weil die Streichholzschachtel noch nicht erfunden war). So bekam er seinen Willen: Notgedrungen zog ihm sein Volk in die Anagrom Ataf getaufte Spiegelstadt hinterher. Zu sagen, es hätte sich dort einigermaßen leben lassen, wäre, gelinde gesagt, eine Lüge. Jeder Anagrom-Ataf-Besucher kennt ja das Phänomen, dass alle Gegenstände dort nach einer gewissen Zeit wieder auf ihre ursprünglichen Plätze zurückkehren und auch die Speisen in Anagrom Ataf infolgedessen nicht sättigen. Will man überleben, muss man sie immer und immer wieder essen, was bedeutet, dass man sich auch sonst dem Rhythmus der Gegenstände anpassen muss, die immer wieder verschwinden und auftauchen. Man muss ein und dieselbe Handlung bis in alle Ewigkeit wiederholen, worüber man zu einem Schatten seiner Existenz wird, äußerlich verblasst, innerlich abstumpft und vor lauter Langeweile beginnt, fatamorganisch zu sprechen - einfacher gesagt: Man ist vom Fatom äußerlich kaum mehr zu unterscheiden und beginnt auch selbst, sich für eins zu halten. Einfacher gesagt: Man ist eins.

So war die Wirkung dieselbe, als wäre Anagrom Ataf auf natürlichem Wege entstanden. Echte Fatome gibt es hier nicht, weil sich zum Zeitpunkt der Kristallspiegelung sämtliche Stadtbewohner als Schaulustige vor den Mauern aufhielten. Nur der Kalif selbst (er schaute von einem Minarett aus zu) und ein alter Bettler, der das große Ereignis in einer Seitengasse verschlief, waren hinterher als blasse Schatten ihrer selbst doppelt vorhanden und mussten leider verhungern, weil nicht genug zu essen für alle da war.

So also kann's gehen, wenn man auf Perplezius hört!

 

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