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46. Aufgabe: Beschreiben Sie die Entstehung und Besiedelung von Atlantis!

Zamonische Geschichte / Juli 2001 /

Entstehung und Besiedelung von Atlantis? Kein Problem, da bin ich sehr bewandert - nicht nur, weil ich Teile der Geschichte von Atlantis in meiner unrühmlichen Vergangenheit als Lügengladiator einmal beruflich missbraucht habe, sondern vor allem, weil ich mittlerweile den Beruf gewechselt habe und mich sechsundachtzigster Sprecher der Freiwilligen Pressewehr Atlantis nennen darf. Augenscheinlich kein besonders hoher Posten, aber ich kann Ihnen versichern, für die "86" ist höhere Gewalt verantwortlich - die fünfundachzig über mir sind alles Tratschwellen, und die sind sowieso unschlagbar, weil ihnen beim Sabbeln aus biologischen Gründen nie der Mund trocken wird und sie somit die geborenen Pressesprecher sind.

Nun ja, heute werden Sie sich mit mir begnügen müssen, und ich lege auch gleich los: Wussten Sie, dass in letzter Zeit überdurchschnittlich viele nichtzamonische Astronauten und Kosmonauten in psychiatrische Heilanstalten eingeliefert werden mussten, weil sie angaben, auf ihren Entdeckungstouren durch die unendlichen Weiten des Weltalls ein außergewöhnlich außergewöhnliches und riesiges Raumschiff gesichtet zu haben, in Form eines fertiggestellten Turmes zu Babel, nur verkehrtrum und stellenweise mit Lehm bedeckt? Außerdem sollte sich auf der Standfläche des Turmes eine ganze Stadt befinden, überspannt von einer gewaltigen Plexiglaskuppel. Tja, das ist unser Atlantis, die Stadt, die ich vertrete. Wir gehen hier neue Wege: Atlantis ist die erste Stadt, die es wagte und schaffte, Mutter Erde zu verlassen, einfach mal so eben den Planeten zu wechseln. Naja, mal so eben ist vielleicht übertrieben, wir werden schätzungsweise zehntausend Jahre brauchen, um am Bestimmungsort anzukommen, dem Unsichtbaren Planeten - aber immerhin, eine fliegende Stadt, und nicht einfach nur fliegend, nein, sie fliegt durch den Weltraum ohne an Lebensqualität einzubüßen, während andere noch an popligen einzelnen Weltraumhotels tüfteln. Ein markantes Aushängeschild für uns, oder? Trotz dieser einmaligen Attraktion ist es uns seither nicht gelungen, die Olympischen Spiele auch nur ein einziges Mal nach Atlantis zu holen. Ich darf daher bei dieser Gelegenheit noch einmal deutlich an die Verantwortlichen appellieren... aber das gehört nicht hierher.

Dass der fliegende Untersatz der zamonischen Hauptstadt aussieht wie der Turm zu Babel... naja, nennen wir es Turm zu Atlantis, ist eine witzige Geschichte und durchaus kein Zufall. Allgemeiner Beliebtheit erfreut sich ja in Zamonien die Sage vom Turmbau zu Atlantis, ich empfehle da die Lektüre der nachtakademischen "Sammlung der wirkungsvollsten Lügengeschichten in der Geschichte des Lügensports", die Sage müsste dort irgendwo zu lesen sein. Kaum eine Legende steht im Zeichen von mehr Irrtümern als diese: Erstens ist es keine Legende, sondern erwiesene Tazache, dass schon vor Jahrtausenden im heutigen Atlantis unter der Herrschaft der Königin Diameter versucht wurde, einen gigantischen Turm zu bauen, der bis zum Sternenzelt reichen sollte, und zweitens ist es bei dem Versuch nicht geblieben, sondern durchaus gelungen. Man hat nur lange Zeit nichts davon gesehen, weil der Turm nicht nach oben gen Himmel gebaut wurde (das hätte den Baumeistern wohl eine herbe Enttäuschung beschert, da sie den Sternen selbst mit dem höchsten Turm nur unwesentlich näher gekommen wären), sondern nach unten, in den Erdboden hinein. Damit existierte bereits der größte Teil des Raumschiffs Atlantis, es fehlten nur noch die Unsichtbaren Leute, die dann auch bald kamen und in dem gigantischen Bauwerk vergleichbar gigantische Antriebs- und Versorgungsmaschinen errichteten, es fehlte weiter die Stadt obendrauf, die auch den dem unterirdischen Leben weniger zugetanen Daseinsformen Zamoniens und der weiteren Umgebung die Möglichkeit geben würde, erstens unter freiem Himmel und zweitens in Gebäuden nach ihren eigenen Vorstellungen zu wohnen und zu arbeiten, und es fehlte die gigantische plexigläserne Kuppel, die die Stadt überspannen und für den langen Flug zum Unsichtbaren Planeten vor der lebensfeindlichen Atmosphäre, oder besser gesagt, Nicht-Atmosphäre des Weltraums schützen würde. Ja, und, um zum Thema zurückzukommen, seinen eigentlichen Sinn, nämlich zu den Sternen zu reichen, hat der Turm zu Atlantis so, durch seine nach unten gerichtete Bauweise, zwar mit Verzögerung, aber auf jeden Fall besser erfüllt, als wenn er nach oben gebaut worden und von Wind, Wetter und enttäuschten Erbauern schon bald wieder niedergerissen worden wäre. Denn jetzt hat er ja seine Reise zu den Sternen angetreten.

Die Idee dazu hatten bekanntermaßen die Unsichtbaren Leute, weil sie glaubten, Atlantis, eine Bastion der Daseinsvielfalt und Multikultur, vor der weltweiten Übernahme aller kulturellen und existenziellen Richtlinien durch die Menschen sowie vor dem steigenden Meeresspiegel retten zu müssen. So verwandelten sie Atlantis und seinen schraubenförmigen Unterbau in ein Raumschiff und verließen mit ihm die Erde. Der Start gen oben war ein gewaltiges Spektakel, der majestätische Anblick der sich in den Himmel erhebenden Stadt wurde damals allerdings schon nach wenigen Minuten dadurch wieder abgedämpft, dass sich der gesamte Pflock plötzlich wieder absenkte, zurückkam, den Start abbrach. Was war geschehen? Die Unsichtbaren Leute hatten in ihren Vorbereitungen, die mehrere tausend Jahre gedauert hatten, erstaunliche Arbeit geleistet, allerdings hatten sie ein winziges Detail vergessen: Die Kuppel. Ohne sie wäre das Verlassen der Erdatmosphäre für die meisten der in der Oberstadt lebenden Daseinsformen eine recht unerquickliche Angelegenheit geworden. Der Bau der Kuppel nahm dann einige weitere Jahrhunderte in Anspruch, während derer sich nicht nur in ganz Zamonien (Untergang der Moloch, Buntbärenbefreiung, Beginn der touristischen Nutzung des Großen Waldes, Nachtustrialisierung etc.), sondern auch in Atlantis einiges tat, und zwar Umwälzendes.

Der vorher so beliebte Lügensport beispielsweise kam völlig aus der Mode - die ganze Sportart war in all ihrem Reiz ausgelaugt und in allen Facetten ausgelotet, nachdem die beiden größten Lügner aller Zeiten, Blaubär der Unbesiegbare und Nussram Fhakir der Einzigartige, das größte, turbulenteste und spannendste Lügenduell aller Zeiten ausgefochten hatten, womit alle Interessantheit des Lügensports schlagartig und spektakulär verpuffte. Zeitweise entwickelten sich hitzige Häkelduelle zum populärsten Volkssport, eine Art Entspannungsphase der atlantischen Unterhaltungsbranche, die bereits einer revolutionären Revolutionierung harrte: Nach etwa fünfundsiebzig zamonischen Jahren kam eine völlig neue Art der Unterhaltung auf, die Traumduelle, die nach folgendem Prinzip funktionieren: Die Gehirne aller Zuschauer eines Duells im Megather werden vermittels komplizierter neuroelektrischer Apparaturen (natürlich von niemand anderem entwickelt als Prof. Dr. Abdul "Nocturnomaniac" Nachtigaller) verstöpselt und zusammengeschaltet. Knotenpunkt dieses Hirnnetzes sind zwei Orgeln in der Arena des Megathers, gewaltige Orgeln natürlich, maßlos kitischig, wunderschön, mit allen möglichen Dämonenfratzen aus der zamonischen Mythik verziert, die eine golden, die andere silbern. Die Orgelpfeifen werden bisweilen, indem sie sich in die Höhe strecken, schief und krumm und winden sich zu einem skurrilen gold-silbernen Gesamtkunstwerk umeinander. Hier hat der verrückt-geniale südzamonische Orgelbauer Wunnibald Wurstfinger seine Fantasie ausgetobt, allerdings bloß zur schnöden Zier, denn es sind nicht Klänge, die diesen Orgeln entlockt werden sollen, sondern Träume.

Das ist die Aufgabe der Traumgladiatoren, die an überdimensionalen Spieltischen mit rauen Mengen von Manualen, Pedalen, Zerebralen und Registern ihr Können messen. Aus dem Fundus des Erfahrungsschatzes und der Fantasie des Publikums, das ja direkt an die Orgeln angeschlossen ist, und ihrer selbst, komponieren sie Bilder und Motive zu rauschenden Synfonien, weben Fäden der Fantasie zu kühnen Inventionen und Teppichen der Träume, die direkt in die Gehirne der Zuschauer geleitet werden. Da nun die Traumgladiatoren nicht miteinander, sondern gegeneinander antreten, stürmen zu Beginn eines Duells zwei ganz verschiedene Träume auf das Publikum ein, ein unbefriedigender Zustand, in dem sich Eindrücke verschiedener Geschichten zu einem sinnlosen Gemisch verbinden, wie man es von unruhigen Nächten mit wirren Träumen kennt. Daher entscheiden sich die Zuschauer bald für den vielversprechenderen beider Träume und drängen den anderen kraft ihres Willens aus dem Geist ab. Dann erzählt der obsiegende Gladiator seine Geschichte weiter und bietet dem Publikum ein abendfüllendes Unterhaltungsprogramm, während der Unterlegene missgestimmt die Bühne verlässt. Diese Art der Unterhaltung ist bis heute sehr beliebt und die Traumgladiatoren die uneingeschränkten Helden des atlantischen Lebens.

Letzteres erlebte auch sonst in den Strukturen der Wirtschaft und Politik starke Umwälzungen, weil diese plötzlich nicht mehr unter dem Einfluss der zuvor mächtigsten Person in Atlantis standen: Volzotan Smeik hatte aus unerfindlichen Gründen seinen gesamten Besitz verwettet und schloss sich dem Schweigeorden der Bekehrten Beter an, der hauptsächlich aus Zwiezwergen bestand und seinem einzigen Gott, No'i-No'inworb, huldigte. Als er eines Tages merkte, dass das Wettbüro, an das er alles verloren hatte, ihm selbst gehörte, hatte er sich schon so an das bekehrte Leben gewöhnt, dass er es nicht mehr missen wollte, und verteilte sein unverhofft zurückgekehrtes Vermögen auf sämtliche wohltätigen Organisationen in greifbarer Nähe. So wurde einerseits die Wohltätigkeit zu einer bedeutenden wirtschaftlichen Größe, andererseits mussten sich erst einmal wieder neue markttechnische und politische Infrastrukturen von Klüngel und Korruption aufbauen, ein kurzzeitiges kleines Chaos, nicht weiter schlimm, daran war man in Atlantis gewöhnt.

Irgendwann war dann die größte Glaskuppel aller Zeiten vollendet, das Raumschiff Atlantis konnte starten, nichts konnte mehr passieren, außer vielleicht, dass irgendein beschränkter Riesenbollogg es aufgrund seiner eigenwilligen Form nunmehr für eine auf seine Maße zugeschnittene Eistüte hielte und sich, einer schlechten Idee folgend, an deren Verzehr versuchte, aber nichts dergleichen geschah; Atlantis konnte beruhigt Kurs nehmen auf den Planeten der Unsichtbaren Leute. Angesichts der wirtschaftlichen Expansion und der stetigen Bevölkerungszunahme (obgleich der Faktor Zuwanderung damit ja weitgehend ausgeschaltet ist) ist die von der Kuppel überspannte Oberfläche von Atlantis in ihren Ressourcen nun bald erschöpft, aber das eigentliche Atlantis ist ja da, wo schon seit Jahrhunderten die gesellschaftlichen Aussteiger, Obdach-, Erfolg-, und Mittellose, eben alle, die mit dem überirdischen Leben nicht zurecht kamen, verschwanden, nämlich in den Katakomben und Gängen unterhalb der Kanalisation, im Turm zu Atlantis, in dem schraubenförmigen Pflock, der die Stadt untergibt. Da ist neben den Maschinen der Unsichtbaren Leute noch jede Menge freier Wohn- und Arbeitsfläche vorhanden, jetzt sogar mit Fensterplätzen und Ausblick auf die Sterne. Man müsste das Ding mit seinen filigranen Bogengängen und seiner antiken Architektur nur mal gründlich abschrubben und von den Lehmresten befreien, die ihm stellenweise immer noch anhaften.

Aber sie wollten ja etwas über die Entstehung und Besiedlung von Atlantis erzählen. Eigentlich keine große Sache: Daseinsformen aller Herren Länder strömen eines Tages in den östlichsten Zipfel Zamoniens, um einen Neuanfang zu machen und erbauen eine Stadt, in der nach folgendem System gelebt wird: Jeder wurschtelt städteplanerisch, kulturell und gesellschaftspolitisch nach den eigenen Vorstellungen so vor sich hin, jeder lässt jeden in friedlicher Koexistenz einfach machen, und alle Probleme lösen sich von selbst, und bald ist die Ebene bedeckt von Pyramiden, Schlössern, Burgen, Kirchen, Zelten, Fachwerkhäusern, Plantagen, Stadien, Skulpturen, Minaretten, Zierbauten, Zweckbauten, Geschäftshäusern, Mietskasernen, Villen, Prachtresidenzen, Parks, Iglus, Fabriken, Lagerhallen, stadtteilumspannenden Raffinerien, winzigen Manufakturen, Wassertürmen, Leuchttürmen, Bürotürmen, Straßenlaternen, Mauern, Seen, Teichen, Brunnen, Kastellen, Kanälen, Gewächshäusern, Tanks, Glaspalästen, Holzhäuschen, Flüssen, Brücken; es wimmelt von Daseinsformen wie Ätherriesen, Alraunen, Ameisenleuten, Atzmännern, Beißwürmern, Berten, Blutschinken, Bonsaimännchen, Buzen, Chromotrophen, Derwischen, Drachen, Draks, Druiden, Eisfratten, Elbentritschen, Enerbansken, Erdhühnchen, Fänggen, Fenixmännlein, Feuermännern, Fhernhachen, Fossegrims, Galgenmännlein, Ghorks, Granitzwergen, Güteln, Gurkenmicheln, Hacken, Halbmumien, Halmfrauen, Haluhatzen, Haselhexen, Heinzelmännchen, Hoawiefs, Hostenrägern, Hütchen, Hundlingen, Hundsköpfen, Illuminäusen, Janusgänsen, Kakertratten, Kalbslemuren, Kijamattöras, Kludden, Lacremen, Mänaden, Melusinen, Menhirgnomen, Midgardschlangen, Mittagsgespenstern, Mönchskälbern, Moosleuten, Nachtmahren, Nattifftoffen, Nornen, Orgs, Pixies, Poppellen, Paradeiswürmern, Pretzen, Pygmäenschatten, Quallengeistern, Regenwaldzwergen, Rikschadämonen, Rodensteinern, Roggenmuhmen, Rumpelstilzchen, Sammlasams, Satyren, Schneehutzen, Schweinsbarbaren, Sumpforken, T'hut'hus, Torfhexen, Twerpen, Unken, Vampiren, Venedigermännlein, Voltigorken, Waldwichteln, Wasserdschinns, Wiedehopfen, Wilden Wesen, Windschnepfen, Witschweinen, Wolpertingern, Wolterken, Xaungasttrøten, Yetis, Zantalfigoren, Zimtmännern, Zwergbolloggs und Zwiezwergen; sogar Radikalaußenseiter des Stadtlebens wie Eydeeten, Finsterbergmaden, Gimpel, Hempelchen, Klabautergeister, Stollentrolle, Tratschwellen oder Zwergpiraten finden sich vereinzelt, und auch Menschen erfreuten sich zunächst einer regen Population.

Mit ihnen kam auch die organisierte Politik nach Atlantis. Sie waren die Letzten, die sich hier ansiedelten, fanden eine funktionierende Gesellschaft vor, die völlig ohne Not, Kriminalität und soziale Probleme auszukommen schien, waren entsetzt und beschlossen, Gesetz und Ordnung in diese Hochburg der Barbarei zu tragen. Sie errichteten komplizierte Instanzen, Parlamente, Gerichtshöfe, Verwaltungsapparillos, ein staatliches Bildungssystem, ja, überhaupt erst einmal einen Staat mit Wappen, Flagge, Nationalhymne und allem, was dazugehört, schmiedeten Gesetze, predigten die Religions-, Meinungs- und unzählige andere Freiheiten, die im juristischen Niemandsland Atlantis seit jeher selbstverständlich gewesen waren, erfanden hohe Ämter, bekleideten sie, ließen sich gut bezahlen und änderten am täglichen Leben in Atlantis mit all dem - gar nichts.

Später waren es dann die Nattifftoffen, die ihre traditionelle Betätigung in der Textilbranche (sie waren spezialisiert auf Norwegerpullover) aufgaben und in die Politik drängten, ja sogar die Menschen nicht nur aus ihr, sondern sogar aus Atlantis und schließlich beinahe aus ganz Zamonien verdrängten, deren Art der bequemen Pseudo-Herrschaft über Atlantis aber beibehielten. Besondere Repräsentanten dieser "Macht" waren zuerst die Könige, später nannte man sie dann Bürgermeister. Es gab tatsächlich Zeiten, in denen es den Nattifftoffen gelungen war die Bevölkerung so für diese glanzvollen Repräsentantengestalten einzunehmen, dass ihnen einiges an Respekt, Bewunderung und auch Gehorsam entgegenschlug, ja, es gab Herrscher, die bis zum Umfallen verehrt wurden und unter denen in Atlantis alles bedingungslos spurte. Aber das waren Moden. In der Regel gab es für die Machthaber keine Möglichkeit, die Einhaltung ihrer zahlreichen Gesetze, Vorschriften und Maßregeln zu kontrollieren (ihre in Steintafeln gehauenen Gesetze maßen sich an alles zu regeln vom Mord bis zur Backschiebernormform) - das Volk machte ja weitestgehend das, was es wollte und für richtig hielt - einen staatlichen Polizeiapparat hätte es nicht geduldet, und auch die Greife und Gargyllen, die wahren Ordnungshüter der Stadt, gehorchten keineswegs den Nattifftoffen, sondern ihren eigenen, gemäßigten Vorstellungen von Recht und Ordnung, mit denen sie fernab allen Interesses für Backschieber auch allzeit ganz gut gefahren sind, bei der Bevölkerung gut ankamen und ein einigermaßen friedliches Zusammenleben aller Daseinsformen auf den Straßen von Atlantis gewährleisten konnten. Ja, sie sind ein wahrer Segen, zumal sie auch mitverantwortlich für die erfreuliche Tatsache sind, dass Atlantis totalitären Regimes keinen Nährboden bietet, die sich ja, wie uns unter anderem die traurige Buchtinger Geschichte lehrt, oftmals unter dem Wunsch der Bevölkerung nach Sicherheit entfalten, vielleicht auch unter dem nach starken, eindrucksvollen Autoritäspersonen, beides Bedürfnisse, die die Greifen seit den Kinderschuhen der Stadt zuverlässig abdecken, ohne überflüssiges Machtgehabe, ohne Bezahlung, einfach so, weil es in ihrer Natur liegt.

Nach Atlantis kamen die aus Griechenland stammenden Löwen-Adler-Mischwesen übrigens zusammen mit ihren Landsleuten, den Mänaden und den Satyren, die dafür bekannt waren, regelmäßig über die Stränge zu schlagen und daher gewisser Strenge (man beachte das feinsinnige Wortspiel) und Aufmerksamkeit durch die wachsamen Augen der Greifen zu bedürfen. Was letztere im Zentrum von Atlantis vorfanden, waren vier monströse Löwenstatuen, die schon existierten, als Atlantis noch ein Goldgräbernest war, und damals alles andere in der jungen Stadt überragten. Zwar waren die Greifen in ihnen nicht ganz exakt dargestellt, sie wähnten sich durch die Statuen aber dennoch besonders huldvoll empfangen, und was sie zuvor noch als eine Art Strafversetzung empfunden hatten, den Umzug nämlich aus der griechischen Heimat in die zamonische Hauptstadt, entwickelte sich in Greifenkreisen bald zum Geheimtipp, sodass wenig später sämtliche der imposanten Fabeltiere übergesiedelt hatten, ihren Aufgabenkreis aufgrund ihrer hohen Konzentration ausdehnten auf alles, was da ging, kreuchte oder fleuchte und über die Stränge schlug, und damit nicht nur die ersten Daseinsformen waren, die den überwiegend von Menschen besiedelten Kontinenten komplett den Rücken gekehrt hatten, sondern auch gleich eine sinnvolle Funktion und eins der besten Ansehen in ganz Zamonien hatten, gleich neben den Rettungssauriern, die sich in Städten wie Atlantis eher ungern blicken lassen und den Greifen ganz das Feld überlassen haben - das heißt, nicht allein den Greifen, sondern auch ihren Assistenten, den Gargyllen. Sie haben ihre ganz eigene Geschichte.

Seit jeher ist es Tradition in Atlantis, Hauswände und Tore mit kleinen, hutzeligen, sehr verschieden-, aber immer reptilartigen und immer geflügelten Gestalten zu schmücken. Verblichene Urahnen mögen dadurch auf Schutz vor bösen Geistern gesucht haben; Hausbauer neuerer Zeit verwendeten die hutzeligen Figuren, nun, wohl nicht gerade aus Gründen der Ästhetik, eher aus Traditionsbewusstsein und im Interesse der Harmonie im Stadtbild, sofern man bei der bunt gewürfelten Gebäudeansammlung in Atlantis von so etwas überhaupt sprechen kann. Man konnte sie schön oder scheußlich finden, man konnte sie fotografieren, ignorieren, beschmieren (man beachte erneut...), man konnte sie aber auch mit Hilfe eines teuflischen Erweckungszaubers in Wesen aus Fleisch und Blut verwandeln, genauer, in gewaltbereite und böswillige, aber willenlose Sklaven. So versuchte es einst die böse Hexe Barbagaga, nachdem sie sich von der Ordnungshüterei der Greifen in der Ausübung ihrer satanischen Magie sehr eingeschränkt fühlte. Die erweckten Statuen sollten sich zu tausenden auf die Greifen stürzen und sie mit scharfen Krallen, spitzen Zähnen und erbarmungslosem Eifer zermalmen, den immensen Größenunterschied durch immense Überzahl ausgleichend - mit dem goldenen Quantitässiegel als Waffe, bildlich gesprochen. Nun, der Erweckungszauber funktionierte perfekt bis auf die winzige Kleinigkeit, dass die Steingestalten hinterher nicht der Hexe, sondern den Objekten ihres Hasses dienten, den Greifen, nicht gerade willenlos, aber doch ergeben. So entstanden die Gargyllen, Assistenten der Greifen, zuständig für kleinere Delikte und Ordnungswidrigkeiten. Barbagaga aber verdingte sich fortan als Sachbearbeiterin bei den Atlantischen Waschmittelwerken.

Seither gewährleisten also Greifen und Gargyllen das essenzielle Minimum an Friedlichkeit auch in den Straßen von Atlantis. Nicht, dass es keine Kriminalität gäbe, bewahre! Was in Hinterzimmern düsterer Kaschemmen, verlassenen Gewölben und vor allem auf dem heißen Hafenpflaster vor sich geht, entzieht sich der Kontrolle der geflügelten Ordnungshüter. Hier sitzen Gangsterbosse, Bandenköpfe und Drahtzieher, ziehen ihre Drähte und durchweben mit Schmuggel, Bestechung, Schiebung und Geldwäsche still und unbemerkt das gesamte, kulturelle, gewerbliche, politische und sportliche Alltagsleben von Atlantis, zur Mehrung ihrer Macht und ihres Reichtums, nicht aber zum Nachteil der Bevölkerung. Das war schon immer so und gehört zu den Erfolgsgeheimnissen der Stadt, wie uns schon die einstige Größe von Bruder Volzotan, dem früheren heimlichen Herrscher von Atlantis, zeigt. Auch im Fall der Traumduelle laufen natürlich alle Stränge bei Gestalten mit zwielichtigen Berufsbilden zusammen - ich habe mir sagen lassen, inzwischen herrsche nicht mehr eine Haifischmade, sondern ein Eydeet im Untergrund, der die allmittwöchliche Große Gehirnkopplung im Megather auch für eigene Zwecke benutzt und das geballte denkgewaltige Potential der Gehirne des Publikums, während es atemberaubende Träume genießt, heimlich zum Sammeln von Informationen und zum Durchrechnen philophysikalischer Probleme zweckentfremdet. Das ist natürlich nicht erwiesen... und damit wir uns klar verstehen, meine Damen und Herren, die Freiwillige Pressewehr ist auch nicht daran interessiert, dass solche Informationen in die Hände der Öffentlichkeit gelangen, also halten Sie bloß die Klappe! Mesdames et Messieurs, die Pressekonferenz ist beendet, wir danken für Ihr Interesse und verschwinden Sie!

 

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