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45. Wir gelangten die Rikschadämonen nach Zamonien und was erklärt ihre Vormachtstellung im atlantischen Verkehrswesen?

Zamonische Geschichte / September 2001 /

Die Vormachtstellung der Rikschadämonen im atlantischen Verkehrswesen ist eigentlich recht einfach zu begreifen. Man betrete nur einmal eines morgens fröhlich und dynamisch die berühmte STADT MIT ZUKUNFT durch eines ihrer prächtigen, von freundlichen Yeti-Stadtwachen bewachten Tore, mit dem Vorsatz, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, zum Beispiel das "Atlantis Hilton", Ilstatna Nr. 15442. Freundlich lehne man die Beförderungsangebote der an jeder Ecke positionierten Rikschadämonen ab, nein, man muss sich ja nicht unbedingt von einem buckligen Botschafter der Hässlichkeit durch die Stadt tragen lassen, nein, es gibt ja noch andere Verkehrsmittel, ja, sogar eine außergewöhnliche Vielfalt im öffentlichen Personennahverkehr, wie unter anderem die hübschen bunten Broschüren bekunden, mit denen die Stadt Atlantis seit vielen Jahren versucht, die Pseudolympischen Spiele zu sich einzuladen, endlich einmal Austragungsort jener Orgie des athletischen Wahnwitzes zu werden, mit Disziplinen wie Briefwagenwettpusten, Gimpkunsttorkeln, Stollentrollweitwurf... aber das ist ein anderes Thema.

Man selber befindet sich mittlerweile 20 Meter unter Tage auf einer schmalen, steilen, Schwindel erregenden Wendeltreppe, die in ein stillgelegtes Bergwerk führt, dessen von Fackeln erleuchtete Gänge fast ganz Atlantis umspannen. Hier besteigt man die Lorenbahn, nun gut, eine etwas rustikalere Art der Fortbewegung. Die Geschwindigkeit und die Holperigkeit der Strecke sorgen für ein mindestens flaues Gefühl im Magen; die Geräusche, die unter heftigem Funkenregen in den Kurven entstehen, lassen Zähne schmerzen, Fingernägel sich hochrollen, chronische Gänsehaut sich bilden, Zehen erfrieren und Haare ergrauen, ach was, ergrauen, schlohweiß werden sie, gerne auch völlig transparent, und wo sie schon mal dabei sind, fallen sie bisweilen auch ganz aus. Langjährige Lorenbahnbenutzer erkennt man an ihren auffällig blanken Glatzen und natürlich an ihren Mienen voller Todesverachtung - doch die sind klar in der Minderheit, denn die meisten Mitfahrer werden es wohl so halten wie man selbst jetzt: Man steigt an der lange herbeigesehnten nächsten Haltestelle zitternden Knies wieder aus, wankt eine neue Wendeltreppe hoch und sucht sein Heil fortan nicht mehr unterirdisch, sondern in eher luftigen Höhen, wo die atlantischen Fesselballons verkehren, gehalten von Seilen und getrieben vom Wind, das verspricht ein sanftes Dahingleiten, fast schon romantisch, auf jeden Fall aber - überirdisch.

Denkt man, bevor man die Gesellschaft sieht, in die man sich begibt, wenn man in der Gondel eines der Ballons Platz nimmt. Die sind nämlich der denkbar geeignetste Ort, wenn es darum geht, kein städtisches oder privates Sicherheitspersonal anzutreffen, weil bzw. sodass (das kausale Verhältnis gleicht dem von Huhn und Hühnerei) die Gondeln rund um die Uhr von Angehörigen missliebiger sozialer Schichten besetzt sind - überwiegend solche Yetis und Blutschinken, denen es an elementarsten sozialen Fähigkeiten, Hygiene und Intellekt gleichermaßen gebricht. Sich breitmachen, saufen, grölen, pöbeln, prügeln und physisch unterlegene Daseinsformen, die es wagen, zwecks Beförderung (welch naives Ansinnen!) in ihre Runde einzubrechen, kopfunter aus dem Fenster halten, das können sie, und nicht nur das, sie neigen auch dazu. Schon kann ein weiteres atlantisches Verkehrsmittel von der Liste gestrichen werden.

Frustriert und leicht blessiert sucht man sich etwas Neues - nein, keinen Rikschadämonen, so tief ist man noch nicht gesunken! - nein, wie wäre es mit der zamonischen Ameisenmotorstraßenbahn, ach, paradiesisch, wieso ist man nicht gleich darauf gekommen - ruhig ist sie, bequem, überwacht, sauber, gewaltfrei, entspannend. Mit schlagzeilenverdächtigen Taktzeiten und einer sensationellen Pünktlichkeitsrate verbindet sie Tansalit-Froschhütten, Stanilat-Westzipfel, Alastint-Oberdöseldeppendorf und sogar Titsalan-Hinterpfuiteufelsheim, macht einen großen Bogen um die City und umgeht auch sonst weiträumig jeglichen Ort öffentlichen oder wie-auch-immer-gearteten Interesses. Soll heißen: Die Straßenbahn ist ein städteplanerischer Kladderadatsch, ein Totalversagen auf der ganzen Bahnlinie. Das Passagieraufkommen unterbietet die Belegschaftszahlen um Vielfaches, auch dann, wenn man nur die aus Steuermitteln bezahlten und fest angestellten Ameisenleute mitrechnet und nicht gerade jede einzelne Ameise in den ameisengetriebenen Motoren der Bahnen. Zugegeben, den paar komischen Käuzen, die in der Einöde der atlantischen Randbezirke leben, alle fünf Minuten eine leere Straßenbahn vors Haus zu stellen, ist noch um ein paar Nuancen sinnvoller, als Geldscheine aus Steuermitteln öffentlich zu verbrennen, aber dem Hotel im Herzen der City kommt man so jedenfalls um keinen Deut näher, und man lässt sich lieber dazu hinreißen, für nicht eben wenig Geld eine venezianische Gondel zu mieten und über das Netz der Kanäle, die die Straßen von Atlantis durchziehen, an den Bestimmungsort zu gelangen.

Obacht: Gerade für Horchlöffelchen ist diese Fortbewegunsmethode höchstgradig ungeeignet, da schon geringe Dosen des traditionell lautstarken, dissonanten und sentimentalen Gesanges der Gondolieri schwere Magenverkorksungen verursachen können. Aber auch nicht-phonophage Daseinsformen wie man selbst sollten sich gut überlegen, ob sie sich diesem besonderen Service der venezianischen Gondelführer aussetzen wollen, der aus berufsehrentechnischen Gründen nicht gegen Geld und gute Worte abzustellen ist (hier bedarf es schon schlagkräftigerer Argumente, siehe Blutschinken etc.), dafür aber von der atlantischen Staatsgewalt gerne bei Evakuierungen, Demonstrationen und Zwangsräumungen eingesetzt wird - also nein, man hat seine Nerven ja heute schon genug Strapazen aussetzen müssen.

Mittlerweile dämmert es, man ist physisch und psychisch am Ende, ausgelaugt und fertig mit den Nerven, und wie die fleischgewordene Erlösung, wie der Deus ex machina, wie der Pterodaktyl in letzter Sekunde höchster Not, strahlend und engelsgleich tritt im selben Moment ein atlantischer Rikschadämon um die Ecke und bietet seine Dienste an. Ungeachtet seiner amorphen Züge schwingt man sich jubilierend und tirilierend auf dessen Buckel und genießt die sichere, erholsame, stoßgedämpfte, schnelle, bequeme, diskrete, zuverlässige und preisgünstige Beförderung zur ILSTATNA Nr. 15442 mit jedem Atemzug. Damit sollte die Vormachtstellung der Rikschadämonen im atlantischen Verkehrswesen erschöpfend erklärt sein. Und während man wie auf Rädern durch die Straßen gleitet (Rikschadämonen haben eine ganz besonders federnde und fließende Gangart), kann man sich bei der Gelegenheit auch gleich von dem Insider unter einem erzählen lassen, wie die Rikschadämonen nach Atlantis kamen. Das war nämlich so:

Die Geschichte begann in alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat, im fernen und geheimnisvollen Lande China, mit einem populären Volksglauben: "Überall schwirren hierzulande böse Geister herum, die für Unglück, Krankheit und Missernten verantwortlich zu machen sind.", hieß es. "Unsichtbar sind sie wohl nicht, aber sie halten sich immer nur hinter unserem Rücken auf." Man schrieb diesen Geistern nicht nur böse Absichten zu und die Fähigkeit, sie auszuleben, sondern auch ein gewisses ästhetisches Empfinden; der beste Weg, sie sich vom Hals zu halten, sei also Hässlichkeit.

Man begann, Hunde mit Kröten zu kreuzen, Eidechsen mit Springmäusen, Schweine mit Geiern, die Resultate wiederum miteinander, bis das ganze Reich der Mitte von einer mannigfaltigen Vielzahl von Kreaturen groteskesten Körperbaus, erschreckendsten Antlitzes und haarsträubendster Hässlichkeit wimmelte: den Dämonen. Jeder hatte mindestens einen; die missgestaltigen Mischwesen waren im Kampf gegen die bösen Geister sehr begehrte Ware, fanden einen alle Maße sprengenden Absatz, wurden gehätschelt, gepäppelt und verwöhnt, versprach man sich doch allein von ihrer Hässlichkeit Schutz vor dem schädlichen Einfluss der böswilligen Gespinste hinter jedermanns Rücken.

Die Krone der Schöpfung aber, der mit Abstand hässlichste aller Dämonen, der gleichzeitig als erster Intelligenz und aufrechten Gang entwickelt hatte, war der Dämon, den man später Rikschadämon nennen würde. Ihn konnten sich nur die Reichsten der Reichen oder ganze Kommunen leisten, zumal er, weil vernunftbegabt, nicht als Haustier gehalten, sondern als Geistervergrauler fest angestellt oder verbeamtet wurde.

So ging es viele Jahre lang ruhig und friedlich. Dann kam der Tag, an dem es Ka Tsen Tsung, einen Tyranneistudenten im siebenundzwanzigsten Semester, plötzlich nicht mehr auf dem Campus hielt. Er marschierte kurzerhand mit seiner "Partei", bestehend aus ein paar WG-Kumpels, ins Parlament ein, machte sich dort breit und erarbeitete ein Regierungskonzept, das auf folgenden drei Grundsätzen basierte:

§1: Die Partei hat immer Recht.
§2: Sollte die Partei einmal nicht im Recht sein, tritt automatisch §1 in Kraft.
§3: Die Partei duldet keine Götter neben sich. Böse Geister? Schnack! Gips nich! Dämonen sind doof und werden nicht gebraucht! Fort mit ihnen!

"Ach so, sag das doch gleich!", erwiderte das Volk und setzte sämtliche Dämonen, niedere tierische wie höhere verstandesbemittelte, hochkant vor die Tür. Vor allem für die späteren Rikschadämonen begann damit eine sehr schwere Zeit: Plötzlich arbeitslos, Opfer eines totalitären Systems, Sündenböcke der Nation, nunmehr für alles zuständig, was man bis jetzt den imaginären "bösen Geistern" zur Last gelegt hatte. Man begann, den Dämonen alles in die Schuhe zu schieben, von Missernten über Börsentiefs, verregnete Sonntage, Seuchen und Katastrophen bis hin zu Gegenwind. Man mied sie, verachtete sie, spuckte sie an, schloss sie vom gesellschaftlichen Leben aus und verprügelte sie, ohne mit juristischen Konsequenzen rechnen zu müssen. Überdies wurde ein Amt zur Einhaltung der Physikalischen Gesetze geschaffen, die erste Einrichtung, die sich dem Kampf gegen die Überschreitung der Grenzen des Möglichen verschrieben hatte und zu diesem Zwecke einen ganzen Polizeiapparat unterhielt, der Verstöße gegen die physikalischen Gesetze, an die das Volk der Menschen, dem auch Ka Tsen Tsung angehörte, in Ermangelung magischer, telekinetischer etc. Fähigkeiten traditionell gebunden ist, verfolgte und drakonisch ahndete. Beinahe täglich wurden so Dämonen Opfer dieser "Verbrechensbekämpfung", da sie über geringfügige telekinetische Kräfte verfügten und z.B. leichtere Gegenstände über kurze Strecken bewegen konnten, ohne sie anzufassen.

Warum tat Ka Tsen Tsung ihnen all das an? Nun, der Strolch hatte nichts anderes gelernt. Seit seinem achtzehnten Geburtstag, an dem er eine Nachricht seines schon vor Jahren verstorbenen Großvaters (soviel zu "Geister gips nich!") in seiner Buchstabensuppe entdeckt hatte, der zufolge er auserwählt war, sein Land mit politischem Extremismus, Terror und der Benachteiligung von Minderheiten zu überziehen, tat er alles, um einmal als berüchtigter, womöglich auch diplomierter Schreckensherrscher in die Annalen einzugehen. Da er jedoch auf der Uni wenig Erfolg und seit dreizehneinhalb Jahren sämtliche Prüfungen versägt hatte, hatte er schließlich doch lieber auf Taschenratgeber gesetzt, wie zum Beispiel "Tyrannei - leicht gemacht", "Der kleine Despot", "Diktatur für Dummies" oder "Schreckensherrschaft in 15 Schritten". Und da stand es klar und deutlich, schwarz auf weiß, teuflisch und einleuchtend: "Dulde keine Götter neben dir" und natürlich: "Suche dir eine ethnische Minderheit, um sie zum Sündenbock zu stempeln und die Aggressionen des Volkes daran auszulassen." Zwar gab es zum Zeitpunkt seiner Machtergreifung schon weit mehr Dämonen als Menschen in China, aber nur eine kleine Minderheit war ethnisch, die Mehrzahl tierisch und relativ wehrlos. Man munkelte allerdings, Ka Tsen Tsung sei als Kind einmal von einem Sumpfdämonen gebissen worden, was auch einiges erklären würde.

Also, was tut man als ethnische Minderheit, auf der alle herumtrampeln? Genau, man baut sich eine große seetüchtige Arche und flieht mit all den primatischen Vorfahren, nicht nur zwei von jeder Sorte, sondern mit allen, weil nicht nur an die Wahrung der Artenvielfalt, sondern auch an das Wohl des einzelnen Dämonen gedacht sein will. So lässt man sich dann wochenlang in dem voll besetzten gigantischen Holzkasten von Winden und Wellen geleiten, bis man eines schönen Morgens in den Hafen der zamonischen Hauptstadt Atlantis einläuft, einer Bastion der Toll-Eranz und Daseinsvielfalt. Halleluja, hier lässt sich's leben! Und nicht nur das, man kann auch seine Fähigkeit nutzen, um den öffentlichen Personennahverkehr zu revolutionieren, siehe Rikschadämonen, und man kann sich vor allem schön weiterentwickeln. So sind heute fast alle Vertreter der Gattung der Dämonen in Zamonien zumindest rudimentär vernunftbegabt und anerkannte Mitglieder der Gesellschaft.

In China aber schienen damals nach dem Verschwinden der grauselichen Dämonenfratzen wieder die bösen Geister die Macht zu übernehmen. Vielleicht fehlte dem Regime auch einfach der Sündenbock, jedenfalls ging es mit Politik, Wirtschaft und Lebensqualität erst mal steil bergab. Ka Tsen Tsung und seine "Partei" waren schneller gestürzt, als man Johannisbrotkernmehl sagen kann. Ach, wie bereuten die Leute, die Dämonen so schändlich malträtiert, ausgestoßen und verjagt zu haben, nun, da sie sie so dringend gebraucht hätten! Aber nach den Geschehnissen war an eine Rückkehr der Dämonen nach China natürlich nicht mehr im Traum zu denken. Selbst schuld. Kommt davon. Haha. So blieb den Chinesen nur das Andenken in Form von Statuen, Drachenfiguren, Feuerwerken und ähnlichem Klimbim, von dem sich Geister mit schlechten Absichten zwar nur mäßig, aber immerhin etwas beeindrucken lassen.

Noch etwas: Die Wenigsten wissen, dass das Amt zur Einhaltung der Physikalischen Gesetze bis heute besteht. Es ist das Einzige, was von Ka Tsen Tsungs Regime übrig geblieben ist, und arbeitet mittlerweile international, verständlich, da die magisch und telekinetisch minderbemittelten Menschen inzwischen große Teile des Planeten Erde unter ihre Knute gebracht haben und auf andere Daseinsformen, besonders auf solche, die ihnen auf den genannten Gebieten um Lichtjahre voraus sind, schon immer, besonders aber seit den Zamonischen Erbfolgerempelein, im Allgemeinen schlecht zu sprechen sind. Die Einhaltung der physikalischen Gesetze wird mittlerweile ziemlich lückenlos garantiert, Überschreitungen der Grenzen des Möglichen werden kaum noch geduldet. Zamonien ist mittlerweile der einzige Kontinent, auf dem die Polizeieinheiten des Amtes noch keine Hoheitsrechte haben. Hoffen wir, dass es dabei bleibt.

 

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