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34. Warum sind Fhernhachen so weichherzig, militant romantisch und nie um ein Kompliment verlegen?

Zamonische Biologie / März 2001 /

In einer Gesellschaft wie der zamonischen und atlantischen bauen sich, wohl aufgrund der Multikultur, der qualitativen und quantitativen Vielzahl von Daseinsformen sowie des weitgehenden Fehlens geordneter Lebensverhältnisse, leicht Spannungen auf, ja Aggressionen, daraus resultierend brennender Hass, Ignoranz, dunkelste Emotionen und garstigste Mordfantasien... kennen wir ja alle. Es kommt und geht und könnte im Vorbeigehen zufriedene und ausgeglichene Lebensformen hinterlassen, aber da gibt es ein störendes Element, einen Faktor, der die soziologische Gleichung am Aufgehen hindert: Die Schmeichkerlchen! Ich wähle bewusst diese volkstümliche Bezeichnung für das aus dem Südwesten Zamoniens stammende Volk, da es ja mittlerweile durchaus Exemplare gibt, die sich von den besagten Verhaltensweisen und Veranlagungen ihrer Spezies gelöst haben Vor allem liegt es mir fern, meine fhernhachischen Mitschülerinnen und Mitschüler zu diffamieren. Nein, ich rede hier von jenen, die, vor allem in Atlantis anzutreffen, die Personifikation der guten Laune markieren, ewig um Erheiterung und moralischen Aufbau ihrer Umgebung bemüht sind und mit ihrer lebensbejahenden, extremoptimistischen Einstellung die pessimistischen, realistischen und ausgeglichenen Gemüter zu korrodieren suchen. Ihre Art der Kriegsführung und Unheilssaat ist in ihrer subtilen Raffinesse durchaus mit Stollentrollen zu vergleichen: Gegen Beschimpfungen, Beschuldigungen und Diffamierungen kann man sich wehren, nicht aber gegen Schmeicheleien, romantischen Enthusiasmus, unwiderlegbare und dennoch dick aufgetragenen Komplimente, geballten Optimismus und Bekehrungsversuche zur positiven Weltsicht. Schon in einer normalen Lebenslage, insbesondere aber wenn man in tiefster Misere steckt, sind diese Umgarnungen durch die Schmeichkerlchen in psychologischer Hinsicht geradezu tödlich: Jede schlechte Laune wird einem verdorben - zwar stürzt man sich später meist mit frischem Mut und gutem Erfolg wieder ins Leben, doch die Chance, sich ein poetisches, negativistisches und damit realistisches Weltbild aufzubauen, ist dahin. Es ist zum Verzweifeln.

Was den Hergang der fhernhachischen Geschichte und die historisch-biologischen Grundlagen für die heutige Geisteshaltung der Schmeichkerlchen betrifft, so habe ich jüngst im Titalanser Allgemeinen Facettenauge (TAF) einen sehr interessanten Beitrag gefunden. Man muss wissen, das TAF ist keine Zeitung wie jede andere. Schon der im Gegensatz zu den zahllosen atlantischen Boulevardblättern, die unter dem Deckmantel des investigativen Jorunalismus mit allgemeiner Duldung durch die Öffentlichkeit politische Schlammschlachten und journalistisches Absatzknüller-Marketing auf der Basis frei erfundener Storys betreiben, als recht gehoben und seriös geltende Atlantische Tagesanzeiger, sieht neben dem Facettenauge wie ein niederes Schmierenblatt aus. Wer es beim Anzeiger aufgrund überragender Begabung und höchster akademischer Bildung zum Chefredakteur bringt, wird beim TAF mit viel Glück in der druckmechanischen Arbeit eingesetzt, was seinerseits ein sehr anspruchsvolles Aufgabenfeld darstellt. Die meisten Redakteure zählen zur Gattung der literarisch begabten Kleindinosaurier und Lindwurmfestenbewohner, der Chefredakteur ist unqualifiziertem Gemunkel zufolge ein leibhaftiger sechshirniger Eydeet.

Zurück zum non-spekulativen Bereich: Das TAF erscheint wöchentlich und rangiert in einer Preisklasse, in der man sich auf dem Weg zum Zeitungskiosk leicht mal einen Bruch hebt - am Portemonnaie, bei dem es sich aufgrund des hosentaschenunfreundlichen Kleingeldformates in Atlantis meist um einen Kartoffelsack oder ähnliches handelt. Das nur am Rande. Das TAF jedenfalls ist mit Teufelselfenblut auf echtem handgeschnitzten selsillischen Papier gedruckt und verwendet eine halbe ZIN-A2-Seite auf seine Titelgrafik, den Schriftzug "Titalanser Allgemeines Facettenauge", der, in pompösen Frakturlettern geschrieben, ein Gemälde des Redaktionsmaskottchens einrahmt. Es handelt sich um ein Originalgemälde von Louis Gargajilles und zeigt eine nordzamonische Regenbogenwespe, in deren perspektivisch ins Riesenhafte verzerrtem linken Auge sich pro Facette ein geschichtsträchtiges zamonisches Pressefoto wiederspiegelt. Das TAF symbolisiert so Vielfalt und Edelkeit.

Nun aber zum Inhalt. Wie gesagt, bevor ich mich nun selber mit der Historie der fhernhachischen Geisteshaltung beschäftige, klebe ich an Stelle einer Hausaufgabe einfach diesen Zeitungsausschnitt hier ein. Man möge mir diese kleine Sünde verzeihen, da ich in diesen Wochen viel Zeit, Kraft und Orm auf das Verfassen meiner Doktorarbeit verwende. Alsdann, hier der Artikel.

TAF, 4. März des Jahres 574 vor Polycrates

Werte Leser, auf dieser Seite möchten wir Sie durch den Abdruck eines Colloquiums delektieren, das unsere Wissenschaftsredakteurin Sensibylla Sagensäg aus dem Anlass des traditionellen Fhernhachen-Freitags, des alljährlichen Nationalfeiertages der Schmeichkerlchen, an dem die Straßen unserer geliebten Stadt Atlantis mit guter Laune überflutet werden und der verantwortungsbewusste Bürger sich in die Kanalisation flüchtet, mit Dr. Transsylvanius Temperberg geführt hat, jenem Wissenschaftler, der für die Entwicklungsgeschichte der Fhernhachen in wesentlicher Weise verantwortlich zeichnet.

TAF: Lieber, verehrter Herr Dr. Temperberg, wir freuen uns, Sie hier begrüßen zu dürfen.

Temperberg: Aber mit Vergnügen. Mein erster Interviewtermin, nebenbei bemerkt.

TAF: Bitte, Herr Dr. Temperberg, Colloquium, nicht Interview! Solche Yhôllizismen lehnen wir hier beim TAF grundsätzlich ab. Wir finden, dass nur unverdorbenes Hochzamonisch cool rüberkommt. Kleiner Scherz am Rande. Nun aber zur Sache: Sie wollten uns von Ihrer unrühmlichen Vergangenheit berichten?

Temperberg: Unrühmlich? Naja, also... ich gebe zu, ich habe vielleicht vieles falsch gemacht...

TAF: Das kann man wohl sagen.

Temperberg: Ich war ein Weltverbesserer, ein notorischer Weltverbesserer. Damals wusste ich ja noch nicht, dass diese Berufung keine Zukunft hat. Ich war ein junger Mann und glaubte noch an das Gute im Stollentroll... tatsächlich hatte ich einmal, auf meiner Klettertour durch die Finsterberge, ein Exemplar dieser Spezies als Partner aufgetrieben. Man kennt das ja: Ein Stollentroll gelobt Besserung, man wird von ihm umgarnt und lässt sich darauf ein, mit ihm zusammen in die Welt zu ziehen, allgemeine Vorurteile auszuräumen und alles zu verbessern... und später wird man dann bitter enttäuscht...

TAF: In der Tat, diese Situation kennt wohl fast jeder mündige Bürger Zamoniens - aus den alten Mythenmetz-Schwarten, die so gerne von Daseinsformen am Rande zwischen biologischer Existenz und personifizierter Dämlichkeit berichten. Aber lassen Sie sich nicht stören.

Temperberg: Als ich also damals mit dem Stollentroll durch die Landen reiste - Mythenmetz mag zu jener Zeit seine erstes Wort gesprochen haben, liebe Frau Sagensäg - war unser erstes Ziel der Sumpffriedhof von Dullsgard, ein letztes Relikt antiquierter Barbarei, das wir einer neuen Bestimmung zuzuführen gedachten. Es handelte sich hierbei um den letzten noch existierenden zamonischen Ausgestoßenenfriefhof, einen Ort, der weniger noch der Entsorgung der Überreste von Personen mit geringem gesellschaftlichen Ansehen als der nachhaltigen Ruinierung von deren Andenken diente.

TAF: Meines Wissens gibt es heute noch einen Ausgestoßenenfriedhof in Blutschinkien.

Temperberg: Von dem wussten wir wohl damals nichts. Wir hatten einen Plan gefasst: Wir würden die Zustände ändern. Man muss sich das mal vorstellen: Die armen Leute wurden in Weichplastiksärgen mit vorgestanzten Wurmlöchern in einer Friedhofsanlage versenkt, die ein einziges Moor war! Dazu kamen Grabsteine aus handelsüblicher Seife, damit der erste Regen sie wegwusch! Und dann gab es dort ein florierendes Geschäft mit kleinen Buden, die faule Eier und Tomaten verkauften. Als Grabschmuck. Wir würden das nicht länger mit ansehen. Wir würden die Budenbesitzer vertreiben, die faulige Sumpflandschaft trockenlegen und zu einem Garten des Friedens und der Besinnung machen: Wir würden Wiesen und Beete anpflanzen, Bäume, adrette Kieswege und Kapellen, um das Andenken jener zu bewahren, die durch das hiesige Begräbnis mit Schmach und Schande überzogen waren. Stellvertretend für all diese bemitleidenswerten... äh... Zeitgenossen, deren Namen man zu unserer Empörung nicht überliefert hatte, würden wir eine große Gedenktafel aufstellen... Sie können sich vorstellen, dass wir geradezu berauscht waren von unserer eigenen Güte...

TAF: Dass Sie das waren, glaube ich gern. Ihr Compagnion wird schon voller Raffinesse und Heimtücke daran gearbeitet haben, Sie aufs Kreuz zu legen. Dürfte ihm bei so einem Strahlemann wie Ihnen auch nicht schwer gefallen sein.

Temperberg: Äh... wohl möglich, ja. Nundenn, ich will ja nicht prahlen, aber gerade auf dem chemischen Sektor bin ich nun wirklich... nun ja, sagen wir, begnadet.

TAF: Ha! Wohl eher begnadigt! Da müssen Sie an einen milden Richter gelangt sein, dass Sie jetzt vor mir sitzen können.

Temperberg: Zwecks der chemischen Trockenlegung des Sumpfgebiets hatte ich eine ganze mobile Laborausrüstung dabei und außerdem eine Sammlung verschiedenster zamonischer Chemikalien. Der Stollentroll war sofort mit Feuereifer dabei, mir bei meiner verantwortungsvollen Tätigkeit zu assistieren und war voll Wissensdurst, sich auf dem chemischen Sektor weiterzubilden.

TAF: Wen wundert's...

Temperberg: An einem Abend war er mit einem solchen Eifer bei der Sache, dass er bis spät in die Nachtstunden forschte und an unserem Projekt arbeitete, während ich mich sorglos zur Ruhe legte. Am nächsten Morgen war die Ebene von grünlichem, übelriechenden Nebel verhangen. Beunruhigende Gestalten tummelten sich rund um mein Nachtlager bis zum aufgrund der schlechten Sicht 30 Meter entfernten Horizont: Irrlichter hatte es in diesen sumpfigen Regionen ja schon immer gegeben, aber jetzt schwirrten sie einträchtig mit geisterhaften Erscheinungen überaus unangenehmer optischer und akustischer Erscheinung einher, die mir gänzlich unbekannt waren. Und das war nicht alles: Hie und da begann sich von Zeit zu Zeit eine gedrungene, hässliche Gestalt vor dem diffusen Leuchten des Nebels abzuzeichnen, erst noch fast eins mit dem schlammig-schleimigen Untergrund, dem sie entstieg, dann mit immer festeren, wenngleich außerordentlich unvorteilhaften Konturen: Große, unförmige Nasen und Ohren, picklige, eitrige, schorfige, narbige, schuppige Haut, die so richtig zum Weglaufen war. Auch Geruch und Charakter der Gestalten waren, wie sich später herausstellte, nicht eben so, wie man sich Weihnachten vorstellt. Das nämlich stand, nebenbei bemerkt, vor jener Zeit vor der Tür.

TAF: Nun, wir alle wissen, dass Stollentrolle ausschließlich in feuchtwarmen Regionen unter Zuhülfenahme von in Moormasse gelösten Friedhofsgasen sowie fossilierten Gehirnen und Gebeinen verblichener Eydeeten entstehen. Und dass es in der Vergangenheit gerade die ultraintelligenten Eydeeten waren, die besonders häufig auf den unrühmlichen Ausgestoßenenfriedhöfen landeten... ihr großartiger Compagnion hat schlicht und einfach die große Moormasse, Ihre Chemikalien und Geräte genutzt, um das Moorgebiet im Westen Zamoniens in die größte Brutstätte für seine Art zu schaffen, die es jemals gab. Ich gratuliere Ihnen, mit Ihrer Vertrauensseligkeit diesen wesentlichen Beitrag zur Senkung des allgemeinen Charakterniveaus unter zamonischen Lebensformen geleistet zu haben. Daher also die überproportionale Stollentrollpopulation in den vergangenen Jahrhunderten...

Temperberg: Ich weiß nicht, was Sie haben, Frau Sagensäg. Wer sagt, dass mein Compagnion diese Heimtücke geschmiedet und eine solche Schuld auf sich geladen hat? Wer sagt Ihnen, dass er mir seine offensichtliche Reue und Abkehr vom Dasein als Personifikation der Niedertracht vorgespiegelt hat? Wer sagt Ihnen, dass er nicht selbst Opfer eines gemeinen Hinterhaltes seitens einer verabscheuungswürdigen Daseinsform geworden ist?

TAF: Was nicht das Geringste daran ändert, wie grob fahrlässig, ja hirnamputiert Sie gehandelt haben, Chemikalien mit einem solch schauerhaften Gefahrenpotential ohne qualifizierte Aufsicht walten zu lassen... und bedenken Sie die Folgen: In den Friedhofssümpfen entstand ein ganzes Heer von Stollentrollen, das mit erstaunlicher Zielgerichtetheit nach Südwesten marschierte, nach Fhernhachingen, das ihnen aus irgendeinem Grund geeignet erschien, dort mit hinterhältigem sozialen Zerstörungswerk in die weihnachtliche Festtagsstimmung zu platzen.

Temperberg: Oh ja, da sagen Sie was! Welch ein Glück, dass ich zur Stelle war und in meiner unermesslichen Genialität und Geistesgegenwart sofort den Gegenschlag organisierte!

TAF: (lacht schrill) Oh ja, wenn SIE nicht gewesen wären, nicht auszudenken!

Temperberg: Nicht wahr? Nun, ich überlegte mir, womit man den Stollentrollen am wirksamsten begegnen könnte und stellte fest, dass das fhernachische Volk ihnen verständlicherweise Abscheu und Hass entgegenbrachte. Diese Geisteshaltung verstanden die Stollentrolle aufs Vortrefflichste zu ihrem Vorteil zu drehen. So wäre es wohl ein verdorbenes Weihnachten geworden, hätte ich nicht meinen gloriosen Einfall verwirklicht, ein gasförmiges Psychopharmakum zu verwenden, um alles, was zum Volk der Fhernhachen zählte, für kurze Zeit auf eine freundliche, geduldige und durch und durch liebenswürdige Art umzustimmen. Und was soll ich sagen, es war ein Erfolg auf der ganzen Linie. Die Fhernhachen begannen, ihren hässlichen Widersachern auf eine lebensbejahende, gewinnende und derart herzliche Weise zu begegnen, dass sie ihnen nicht mehr gewachsen waren. Gegen diese Art der schmeichlerischen Umgarnung und grenzenlosen Freundlichkeit als Antwort auf fiese Intrigen und hinterhältige Gemeinheiten waren sie machtlos, und als das Ganze in einer gigantischen, landesweiten Stollentroll-Fhernachen-Begegnungs-Weihnachtsfeier gipfeln sollte, nahmen sie reißaus und verstreuten sich über alle Regionen Zamoniens. Heute sind sie mit etwas Pech überall anzutreffen, nur in Fhernhachingen wurde seitdem nie wieder einer gesichtet.

TAF: Und wir dürfen damit rechnen, dass die KURZZEITIGE Wirkung des Psychopharmakums bei den Fhernhachen innerhalb der nächsten drei- bis viertausend Jahre so allmählich abklingen wird?

Temperberg: Dessen dürfen Sie getrost versichert sein.

TAF: (holt tief Luft) Herr Dr. Temperberg, Sie sind ein Idiot. Sie haben es nicht nur geschafft, Zamonien innerhalb eines Monats mit zwei Plagen zu überziehen: Einer übelriechenden, hässlichen, fiesen, gemeinen und intriganten und einer grinsenden, optimistischen, zuckersüß freundlichen und unerwehrlichen. Nein, Sie besitzen sogar die Schneid, Ihr verheerendes Wirken als Heldentaten darzustellen und damit auch noch in einem der renomiertesten zamonischen Intellektuellenblätter zu erscheinen. Wissen Sie eigentlich, dass seit ihrer großartigen Aktion der Zufriedenheitsquotient der atlantischen Bevölkerung von 87 auf 22 Prozent gefallen ist? Wissen Sie eigentlich, dass den Fhernhachen über die Jahrzehnte spezielle Auswuchtungen am Kopf entstanden sind, die bei besonders breitem Grinsen zur Aufnahme der Mundwinkel dienen, die sogenannten Fhernhachenbäckchen? Sagen Sie selbst: Ist das nicht geradezu pervers?

Temperberg: (bricht schluchzend zusammen und wimmert Unverständliches)

TAF: Herr Dr. Temperberg, ich danke Ihnen für das Gespräch.

 

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