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13. Was sind Blaue Blitze und wie erklären Sie ihre Entstehung?

Zamonistik / März 2001 /

Zu diesem Thema möchte ich zunächst einen Abschnitt aus dem Buch der Seher, einem wichtigen Bestandteil der Antiken Zamonischen Mythik, zitieren, der sich bereits mit dem Thema der blauen Blitze befasst:

"Die Götter der Tafelrunde hatten sich um den Tisch des Himmels versammelt, und wie immer war es Göttervater Asprovias, der die Tafel eröffnete. Über das Schicksal des Kontinents Zamonien war beschieden, bei diesem Mahl würde er den Göttern als Speise dienen. Die Verteilung der einzelnen Teile gestaltete sich wie eh und je schwierig. Asprovias, ein autoritärer Vater, beschränkte sich jedoch darauf, stur zuzuteilen, ohne sich um die Begehrlichkeiten seiner Kinder zu kümmern. Die größten Leckerbissen gingen freilich an die, an deren Handeln und Denken Asprovias im vergangenen Jahrtausend Gefallen gefunden hatte; wer den Göttervater vergrätzt hatte, musste mit weniger Schmackhaftem vorlieb nehmen. So musste sich etwa der launische Todesgott Fänggas mit den wenig begehrten Finsterbergen zufrieden geben, während der braven Selsilla, der Göttin der Weisheit die zarten Filetstreifen der Tatzeninsel zuteil wurden; das würzige Fhernhachingen ging an den fleißigen und gehorsamen, weil etwas dämlichen, Handwerksgott Nernatryx; Dorevia hingegen, die Göttin der Fruchtbarkeit, wurde, wie man munkelte, aufgrund ihrer zweifelhaften Umtriebe in Betten diverser germanischer Götter, mit den glibberigen und bitteren Friedhofssümpfen abgestraft. Der Kampfesgott Egidartes, der zeitlebens ein Warmduscher, Hätschelkind und Süßspeisenbevorzuger gewesen war, durfte zu seiner großen Freude die gesamte Süße Wüste auslöffeln, eine Zuckerbombe, von der sich andere entsetzt abgewendet hätten, wie zum Beispiel Carmethis, die aufgrund ihrer unangenehmen Eigenheit, auch über Dinge zu sprechen, die Asprovias lieber totgeschwiegen hätte, den Großen Wald zugeteilt bekam, der als ziemlich trocken und zäh verschrien war. Mit großer Häme vergab Asprovias dessen Teil an seinen frechen Sprössling Quereio, den Hüter der Zamonischen Weltordnung: Er durfte den gesamten Inhalt des Malmstroms ausschlürfen und ist von dem vielen Gennfgas noch heute so bekifft, dass es in Zamonien überhaupt keine Weltordnung gibt. Shegeley hingegen, die Göttin der schönen Künste, die ihren Vater regelmäßig mit musikalischen Darbietungen erfreute, bekam ein exquisites Gourmetstück: Die Region Unbiskant mitsamt Maulwurfsvulkan, eine ungewöhnliche Delikatesse, landete auf ihrem Teller. Sich selbst aber teilte Asprovias, der zamonische Göttervater, das Stück Zamoniens zu, das selbst Unbiskant verblassen ließ: Die Stadt Atlantis, ein großer, komplexer, äußerst leckerer und sehr schwierig zu essender Happen, für deren Zerlegung Geschick und Instrumenten eines Profichirurgen nötig waren. Doch da er sich gerade über dieses Stück hermachen wollte, standen schon Fänggas, Dorevia, Carmethis und Quereio vor ihm, sehr gekränkt und erzürnt über ihre Diskriminierung, und verhängten über die Speise ihres Vaters einen Fluch: Sie versalzten sie ihm mit ihren göttlichen Kräften, versetzten sie mit den blauen Blitzen, die noch heute durch die Straßen der Stadt Atlantis zucken, sodass das Mahl auch für den tyrannischen Asprovias zu einer Tortur wurde..."

Eine nette Geschichte, doch mangelt es ihr aus heutiger Sicht schon arg an Glaubwürdigkeit. Oder hatten Sie schon einmal das Gefühl, zusammen mit dem Erdboden, auf dem Sie wandeln, in den Mägen titanischer Götter verdaut zu werden? Na also. Heute allgemein vermutet bzw. bekannt ist ein Zusammenhang zwischen den nur in Atlantis vorkommenden Blauen Blitzen und den Unsichtbaren Leuten, die ihrerseits Gegenstand einer der populärsten Stadtlegenden von Atlantis sind... aber schon an dieser Stelle gehen die Spekulationen wieder auseinander wie am ausgefransten Ende eines Schnürsenkels: Wer oder was sind die Unsichtbaren Leute? Was macht sie unsichtbar? Woher kommen sie, was wollen sie, was tun sie? Eins der wildesten Gerüchte besagt folgendes: Die Unsichtbaren Leute sind Außerirdische, die bereits vor Jahrtausenden auf diese Erde kamen, um die ganze Stadt Atlantis in ein gigantisches Raumschiff umzuwandeln und dieses Juwel physikalischer Gesetzlosigkeit, Verrückheit und spezieller Multikultur ins Weltall mitzunehmen, auf dass es nicht das Schicksal jener alten Kontinente wie Nafklathu, Perm, Urien und Zamonien sowie seiner Bewohner teile, die auf der mehr und mehr von Menschenhand gelenkten Erde kaum noch eine Zukunft haben und wohl über kurz oder lang im Meer versinken werden. Zu diesem hehren Zwecke werkeln die Unsichtbaren Leute schon Äonen im Erdreich unter Atlantis, das sie mit ihrer futuristischen Maschinerie, stampfenden Schwerapparaturen und Hochpräzisionsmikroelektronik durchziehen. Die blauen Blitze sind die elektrischen Entladungen, die dabei unabdingbar manchmal zustande kommen.

Dem geneigten Leser mag das wie ein überzogener Titelseitenaufreißer eines Boulevardblattes anmuten, aber ich kann dazu nur sagen: Es ist leider wahr. Meine wackelige Dimensionslochanbindung an Zamonien versetzt mich mal in diese, mal in jene Zeit, und so habe ich schon einiges Zukünftige mitgekriegt... unter anderem auch die Stadt Atlantis, die, auf einem gewaltigen maschinisierten Schraubenpflock unter Dröhnen und Zischen in die Höhe schwebend, gen Weltall entschwand. Die ganze Geschichte stimmt also, bis auf den Quatsch mit den den edlen Absichten der Unsichtbaren Leute. Sie sind nicht im Mindesten daran interessiert, irgendwelche multikulturellen Werte zu bewahren, sie brauchen nur alle möglichen biologischen Forschungsobjekte für ihre zweifelhaften Experimente, auf die ich an dieser Stelle nicht näher eingehen will.

Dass Zamonien irgendwann versinken wird, haben sie nicht etwa vorausberechnet, sondern mit dem Entfernen der Stadt Atlantis ganz bewusst verursacht und in Kauf genommen. Durch die Entnahme des gigantischen Schraubenpflocks geriet das geographische Gleichgewicht Zamoniens ins Wanken, und der Rest ist Geschichte. Ach, nein, Quatsch, viel mehr ja noch Zukunft. Wie man's nimmt. Im Zeitalter der interkontinentalen Dimensionslochkommunikation gibt es einfach keine klaren Zeitverhältnisse mehr.

Ach ja, und dann war da noch etwas falsch in der Legende über die Unsichtbaren Leute: Die Blauen Blitze sind natürlich keine Energieentladungen. Das, was die Außerirdischen da unten bauen, haben sie schon unter Kontrolle, niemals wären sie so nachlässig, die atlantische Bevölkerung durch mangelhafte Isolierung auf sich aufmerksam zu machen... was sie dagegen nicht unter Kontrolle haben, ist ihr eigener, übermütiger Nachwuchs. Man muss wissen, dass die biologische Entwicklung einer Unsichtbaren Person einen höchst komplexen Vorgang in mehreren Stadien darstellt. Aus dem zunächst entstandenen, durchaus sichtbaren, aber unter Hochspannung stehenden Ei schlüpft nach ein paar Wochen eine insektenartige, im Dunkeln blau leuchtende Larve. Diese lässt sich noch ganz bequem unterirdischen Sicherheitsräumen versteckt halten; entwickelt sie sich aber nach einer weiteren Woche in ihr nächstes Stadium, den Blauen Blitz, hindert das Kind kein Schloss und keine Mauer mehr, in diesem Stadium geht die kleine Unsichtbare Person auf Entdeckungsreise, bewegt sich wild und schier nicht zu bändigen und tollt auch schon mal durch die Straßen von Atlantis. Die Konzentration der Blitze ist mal höher, mal niedriger; bei Regen wagen sich die Kleinen sowieso kaum nach draußen, und das Stadium dauert auch immer nur einen Tag. Danach nehmen die Unsichtbaren Leute ihre endgültige Form an, die hier nicht näher beschrieben werden kann, weil sie für das menschliche Auge gar keine Gestalt hat. Sie strahlt keine Lichtwellen innerhalb des menschlichen Wahrnehmungsspektrums mehr aus, reflektiert auch keine, sondern lässt sie einfach hindurch. Selbst bei Spezialfilteraufnahmen mit Infrarotkameras oder Röntgenapparaten ist es noch nicht gelungen, von der Gestalt des unsichtbaren Imagos irgendeine leise Ahnung zu kriegen. Es bleibt vorerst ein Mysterium. Aber zumindest ist jetzt klar, was Blaue Blitze sind.

 

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